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#Wissenswert

15.11.2023

Kinder Israel

Kinder Israel
Bildquelle: Rika Benveniste

Zeltlager Israel

Zeltlager Israel
Bildquelle: Rika Benveniste

Die Auswanderung der griechischen Juden: Amerika oder Eretz Israel

Der brutale Terrorangriff gegen Zivilist*innen in Israel am 7. Oktober 2023 markiert einen weiteren Höhepunkt des Ιsrael- und Judenhasses und der Gewalt in der Region, die für tausende Jüdinnen und Juden eine sichere Heimat bieten sollte. Auch viele der griechischen Jüdinnen und Juden wählten nach der Shoah den jungen israelischen Staat in der Palästina als ihre neue Heimat. Hierzu bieten wir das Kapitel „Auswanderung: Amerika oder Eretz Israel“, einen Auszug aus dem Buch von Rika Benveniste Die Überlebenden. Widerstand, Deportation, Rückkehr: Juden aus Thessaloniki in den 1940er Jahren als wissenswerte Lektüre an.

Η απάνθρωπη τρομοκρατική επίθεση εις βάρος ισραηλινών αμάχων στις 7 Οκτωβρίου, η πιο πρόσφατη αποκορύφωση του αντιισραηλινού και αντιεβραϊκού μίσους και της βίας στην Παλαιστίνη, αποτελεί την αφορμή για την αναδημοσίευση αποσπάσματος από τη μελέτη της Ρίκας Μπενβενίστε Αυτοί που επέζησαν.

8. Auswanderung: Amerika oder Eretz Israel

Wir kommen zur letzten Phase der Geschichte der Lager für die DPs, jener Phase, die die jüdischen Überlebenden in Bayern zugleich einte und trennte. Manchmal waren sie jahrelang unterwegs, bis der Augenblick kam, wo ihre Entscheidungen bezüglich ihres Zieles sich klärten oder umsetzbar wurden. Die Chancen und Möglichkeiten zur Auswanderung bzw. Umsiedlung ergaben sich erst nach und nach. Im Frühjahr 1947 startete die kanadische Regierung ein Arbeitsprogramm für in das Land kommende DPs, ein Gesetz von 1948 erlaubte vielen die Einwanderung. Im Juni 1948 beschloss der amerikanische Kongress jenen Gesetzesakt, der erstmals eine Einwanderung in größerem Ausmaß ermöglichte, doch wurde dieser Akt erst 1950 so abgeändert, dass es einer größeren Zahl von Juden erlaubt war, einzuwandern. Bei den jüdischen DPs folgte auf die Euphorie über den Beschluss der Vereinten Nationen zu Teilung Palästinas (29. November 1947) die Enttäuschung über den bald ausbrechenden Krieg. Die Gründung des Staates Israel im Mai 1948 bedeutete auch für sie einen Wendepunkt, wurde nun doch ihre legale Einwanderung möglich. Von den 73 Personen der Liste von 1947, deren endgültiger Zielort mir bekannt ist, wanderten ca. 25 nach Amerika und ebenso viele nach Israel aus, während diejenigen, die entweder nach Argentinien, Kanada und in andere Länder migrierten oder aber nach Griechenland zurückkehrten, jeweils an den Fingern einer Hand abzuzählen sind.

Ich möchte nicht bei den Rationalisierungen a posteriori und den Rechtfertigungen der Entscheidungen für einen bestimmten Zielort, so wie sie in den 1980er und 90er Jahren in die Kameras und Mikrophone gesprochen wurden, stehenbleiben. Im Gegenteil beharre ich auf der Tatsache, dass sich in jener Zeit anscheinend viele Wege boten, von denen keiner mit Rosen gepflastert war. Die Entscheidungen wurden durch objektive Faktoren bestimmt (Angehörige, die gerettet wurden und bereits zurückgekehrt waren oder sich anderswo niedergelassen hatten; finanzielle Wiedergutmachung bzw. entsprechende Erwartungen), in großem Grade aber auch durch ganz zufällige Umstände oder Begegnungen. Und auch durch Ideologien: Für viele Deportierte, die ihre Familie verloren hatten, bot die zionistische Kultur einen Anschluss an eine Gemeinschaft und eine utopische Vision, die beim Überleben und als Mittel gegen die Verzweiflung helfen konnte. Natürlich nicht allen.

Dieser Sinn für ganz unterschiedliche, sich verzweigende Wege und wahrscheinliche Bestimmungsorte wird auch in dem erschütternden Interview spürbar, das eine junge Frau aus Thessaloniki David Boder am 5. August 1946 in Paris gab. Die zwanzigjährige Rita Ben­mayor war nach ihrer Deportation nach Auschwitz in die Lager Ravensbrück, Retzow und Malchow gebracht worden, wo sie dann von den Sowjets befreit wurde. »Die Russen waren gut zu uns«, sagte sie, »sie gaben uns Essen und Seife zum Waschen.« Dann machte sie sich zusammen mit weiteren 25 Leidensgenossen auf den Weg; drei Wochen ging sie und stahl Lebensmittel, um in die amerikanische Zone in Deutschland zurückzukehren. Das Interview wurde in Paris geführt, in einem Heim für junge Erwachsene, das das Amerikanische Komitee für Jüdische Flüchtlinge gegründet hatte. Aus dem Interview geht hervor, dass Rita ein Jahr zuvor in Paris angekommen war, als sie sich zwei Freundinnen anschloss, die sie nach der Befreiung auf der Straße kennengelernt hatte. Mit ihnen war sie also in einen Zug Richtung Paris gestiegen. »Ich wollte nicht nach Griechenland gehen, ich habe keine Familie.« In Wirklichkeit hatte sie einen Bruder, dem es, nachdem er zunächst nach Griechenland zurückgekehrt war, wo er niemanden mehr vorfand, gelang, nach Palästina zu migrieren. Sie selbst sprach gebrochenes Deutsch: »Wenn ich nach Griechenland zurückgegangen wäre, hätte ich das Haus ohne meine Mutter und meinen Vater gesehen, das kann ich nicht sehen.« »Und was gedenkst du jetzt zu tun?« »Ich werde nach Amerika gehen.« Dank eines amerikanischen Soldaten hatte sie die Adresse eines Onkels in Amerika gefunden, und jetzt wartete sie darauf, dass für die Griechen »die quota geöffnet« wurde, sodass sie ausreisen konnte. In der Zwischenzeit ging sie arbeiten.

In der Hoffnung, die USA so in den Prozess der Suche nach einer politischen Lösung einzubinden, schlugen die Briten 1946 die Einrichtung einer angloamerikanischen Untersuchungskommission für Palästina vor. Von den 138.320 befragten jüdischen DPs in der amerikanischen, der britischen und der französischen Zone (die Sowjets lehnten die Teilnahme ab) gaben 118.570 Palästina als bevorzugten Zielort an. Sicher hätten viele von ihnen ein ruhiges Leben im »goldenen Land« (goldene medinah auf Jiddisch) vorgezogen, aber in jener Zeit erschien diese Option kaum zu realisieren. Vielleicht stellte die Antwort für viele auch ein politisches Statement dar, selbst wenn sie nicht die Absicht hatten, nach Eretz Israel zu gehen. Auch wenn die Shoah nicht sämtliche Überlebende in aktive Zionisten verwandelt hatte, glaubte die große Mehrheit von ihnen doch, dass viele Menschen hätten gerettet werden können, wenn es einen jüdischen Staat gegeben hätte. In der Praxis wurde in den Reihen der DPs eine besondere Art des Zionismus kultiviert, die sowohl von den ideologischen wie auch den praktischen Bedürfnissen der Vertriebenen geprägt war.Die Zionisten waren die einzigen, die über ein konkretes Programm verfügten, das nach der Katastrophe einen Sinn zu haben schien; und zugleich ermutigten sie dazu, die eigenen Rechte in Deutschland einzufordern, und gaben den Deportierten die Kraft, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, indem man Vertreter wählte und die Verteilung von Waren und Dienstleistungen beaufsichtigte, kurzum: indem man die Selbstorganisation und Selbstverwaltung ins Leben rief. Und andererseits konnte die Bevölkerungsgruppe der jüdischen DPs tatsächlich einen Hebel beim Ausüben von Druck für die Schaffung eines jüdischen Staates darstellen. Die jüdische Führung in Palästina und Ben Gurion selbst, der in den Jahren 1945/46 mehrere Male die DP-Lager in Deutschland besucht hatte, wussten das nur zu gut. Bis Ende 1945 brachte die zionistische Bewegung die Deportierten in Deutschland einander näher, und es schien so, als wären die Spaltungen aus der Vorkriegszeit nun überwunden. Aber ab Anfang 1946 ist das »Lager der Einigkeit« (als Wert und als praktisches Bedürfnis) einfach nur noch eine Tendenz unter anderen.

1946 wird der Kampf für die freie Einreise nach Palästina zur Zentralfrage im Leben der DPs, die sich inzwischen auf deutschem Boden wie gefangen fühlen. Die Kampagne zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung konzentriert sich nun auf Palästina, London und Washington, aber auch auf die Häfen, in denen jene Schiffe ablegen, die illegale Einwanderer transportieren, und ferner auf die britischen Lager auf Zypern, in die die Einwanderer gebracht werden, deren Schiffe von den Briten gestoppt wurden, bevor sie die Küsten Palästinas erreichten.

In den Jahren der Erholung von den Leiden des Krieges gibt es (außer in den USA) auf den Titelseiten der Zeitungen keinen Platz für die Geschichte der DPs. In Athen veröffentlicht die Evraiki Estia, die eine eindeutig zionistische Orientierung hat, am 15. August 1947 einen Artikel mit der Überschrift »Der Untersuchungsausschuss der UNO besucht Lager der Vertriebenen«, mit einem Untertitel, der keinen Zweifel lässt: »Einzige Lösung ist die Auswanderung nach Palästina«. Im Artikel wird auf ein von den Vertriebenen selbst verfasstes Memorandum Bezug genommen: »Seitens des die 250.000 deportierten Juden in Deutschland und Österreich repräsentierenden Zentralrates wurde beim Untersuchungsausschuss ein zehnseitiges Memorandum eingereicht. Darin wird der unabänderliche Entschluss der Deportierten zum Ausdruck gebracht, keiner neuen Diaspora zuzustimmen, sowie der Wille aller, nach Palästina auszuwandern und sich dort der Wiedererrichtung einer neuen Freiheit und eines stabilen Lebens für sich und für ihre Kinder zu widmen.«

Der Brief der Sephardischen Vereinigung vom 12. September 1948 an die Gemeinde von Thessaloniki betont unter anderem, dass das Wichtigste für sie sei, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen (lo mas enteresante para mozotros es de abandoner la Allemagna alo mas presto possible), und setzt die Gemeinde darüber in Kenntnis, dass bereits siebzehn Mitglieder nach Eretz Israel (zwei davon an Bord der Exodus), einer nach Paris und zwei nach Kanada aufgebrochen seien. Einer davon war tatsächlich Eli Benyakar, »unter einem anderen Namen, weil sein Alter es ihm nicht erlaubte, sich einzuschreiben.« Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die berühmte Exodus ein amerikanisches Kreuzfahrtschiff war, das im Juli 1947 mit ca. 5.000 jüdischen DPs an Bord den Hafen von Marseille verließ. Als sich das Schiff der Küste Palästinas näherte, geriet es in ein Unwetter und wurde von den Briten entdeckt. Das Ergebnis dieses Aufeinandertreffens war zunächst, dass Besatzung und Passagiere, wie es üblich war, in ein britisches Lager auf Zypern gebracht wurden. Infolge einer besonderen Intervention des britischen Außenministers Bevin wurden die Flüchtlinge jedoch zum Exempel zurück nach Deutschland gebracht. Nach drei Monaten legte das Schiff in Hamburg an, und die Flüchtlinge wurden gewaltsam von Bord gezerrt und dann nach Norddeutschland gebracht. Der Vorfall provozierte die internationale öffentliche Meinung, und in Deutschland traten viele jüdische DPs aus Protest in einen Hungerstreik.

Der Weg von Feldafing nach Eretz Israel führte für gewöhnlich über Italien. Angeführt von der Jüdischen Brigade, einer Einheit aus jüdischen Soldaten, die im Rahmen der Invasion in Italien an der Seite der Engländer gekämpft hatten, und von Abgesandten aus Palästina, überquerten seit dem Sommerende 1945 bis zum Juni 1948 ungefähr 50.000 jüdische Flüchtlinge die Alpen und erreichten so Italien. Untergebracht wurden die Flüchtlinge in gewöhnlichen Flüchtlingslagern oder in den Hachsharot, zionistischen Lagern, die der Vorbereitung auf die Einwanderung dienten. In Italien aber, wo ihre wirtschaftliche Situation unerträglich war, war auch die militärische Präsenz der Briten sehr stark, und deren mit dem britischen Mandat in Palästina zusammenhängenden Interessen erschwerten grundsätzlich eine Einwanderung der zu Tausenden aus aller Welt kommenden Flüchtlinge nach Palästina. Dennoch überquerten jeden Monat Hunderte, manchmal Tausende von Flüchtlingen illegal die Grenze. Die Grenzposten und Carabinieri sahen absichtlich weg, während die offiziell neutrale, in der Praxis aber die Emigration begünstigende Haltung der Behörden wie folgt zusammengefasst werden könnte: »Trotz der unvorhergesehenen Probleme, die sich aus der Ankunft von Hunderten von Flüchtlingen ergeben, ist es nicht möglich, eine wirkliche Grenze zu errichten, und ist es den italienischen Autoritäten nicht möglich, eine anti-jüdische Politik zu verfolgen« (non e possibile istituire una vera linea di frontira et non e possibile per le autorità italiane fare una politica anti-ebraica). Die zionistische Bewegung war seit dem August 1945 aktiv gewesen, und Abgesandte aus Palästina charterten Schiffe, die die Juden heimlich aus den italienischen Häfen brachten, die nicht unter der militärischen Kontrolle der Briten standen, wobei die Italiener ihnen halfen oder einfach ein Auge zudrückten.

Über die verschiedenen Routen kamen in Italien natürlich auch Juden an, die aus anderen Lagern befreit worden waren. Mose Aelion etwa war von Thessaloniki nach Auschwitz deportiert worden, und die Todesmärsche hatten ihn in die Lager Mauthausen, Melk und Ebensee geführt, wo er bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 blieb. Nach vielen Jahren erzählte er Jakov Schiby, wie er im Juni 1945 aufbrach, um über Italien nach Griechenland zurückzukehren. Die Begegnung mit Soldaten der Jüdischen Brigade war entscheidend dafür, dass er seine Meinung änderte und sich in das Lager Santa Maria di Bagni aufmachte. Dort stellte er fest, dass man Juden, die aus anderen Teilen Europas gekommen waren, den Vorrang gab, wenn die Plätze für die Schiffe nach Palästina vergeben wurden. »Wir Griechen wurden als Raufbolde betrachtet. Ein paar gingen nach Bari, schlugen mit der Faust auf den Tisch, und dann nahm man fünf von uns und schickte sie nach Palästina.« Für die Restlichen bedeutete die Reise ständige Verzögerungen und Umwege (über Rom und Genua), bis sie im Juni 1946 an Bord eines Schiffes gehen konnten. Vor der Küste stoppten die Engländer das Schiff, und Mose Aelion verbrachte einige Wochen im englischen Lager Atlit, bevor er zu Fuß nach Tel Aviv gehen konnte.

Dario Antzel erinnerte sich, dass er ohne Papiere aus aus Feldafing wegging und dass er die italienische Grenze in einem amerikanischen Lastwagen versteckt passierte. Über Bologna kam er nach Modena, in der Universität der Stadt hatte man ein großes Flüchtlingslager eingerichtet. Dario verkaufte Decken an die Italiener und verdiente so genügend Geld, um ins Theater oder ins Kino gehen zu können. Er zeigte die auf seinen Unterarm eintätowierte Häftlingsnummer vor und reiste so, ohne für die Fahrkarten zahlen zu müssen. Noch in Italien erfuhr er, dass sein Bruder am Leben war. Über Mailand und Florenz erreichte er Santa Cesarea, wo er neun Monate wartete, bis er an Bord eines Schiffes nach Palästina gehen konnte. Die Engländer stoppten das Boot, und so war er gezwungen, weitere sechs Monate auf Zypern zu verbringen, bevor er endlich Palästina erreichte, wo er einen weiteren Monat im Lager Atlit bleiben musste. Menachem Shabbetai, der ebenfalls in Feldafing gewesen war, gab die Idee, in die USA oder die Sowjetunion zu gehen, auf und folgte der Jüdischen Brigade durch Italien. Auch sein Schiff wurde von den Engländern aufgebracht, und so war er gezwungen, anderthalb Jahre auf Zypern zu bleiben, bevor er Ostern 1947 Palästina erreichte. Dario Sevi erinnerte sich, wie er eines Tages in München auf Soldaten der Jüdischen Brigade traf, die auf der Suche nach Überlebenden waren. Er zeigte ihnen den Weg nach Feldafing. »Die Soldaten sprachen von Eretz Israel und vom Mittelmeer.« Für viele Flüchtlinge symbolisierten die Kämpfer aus Palästina, die mit Stolz den auf ihre Uniformen gestickten Davidstern trugen, eine neue jüdische Identität. Ohne groß darüber nachzudenken, brach Dario zusammen mit etwa vierzig anderen nach Italien auf. Sie umgingen die Grenzkontrollen und erreichten das Flüchtlingslager in Modena, wo sie das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana und den Jom Kippur feierten, doch fiel es ihnen nie ein, in die Synagoge zu gehen. Sein Bruder entschied sich damals, nach Griechenland zurückzukehren, um ihre Schwester zu suchen, doch hielt Dario ihn davon ab, damit er mit ihm käme. Er tat dies auch, weil er fürchtete, dass sein Bruder in Griechenland zur Armee einberufen werden könnte. Auch jenen, die der Hölle der Nazilager nach zwei Jahren entkommen waren, gewährte der griechische Staat keinerlei Vorzugsbehandlung; im Gegenteil, er beorderte sie an die Fronten eines gnadenlosen Bürgerkrieges, der bereits im Frühjahr 1946 ausgebrochen war. Dario Sevi blieb schließlich bis zum September 1946 in Italien und erreichte dann nach einem erzwungenen Aufenthalt auf Zypern im April 1947 Palästina. Auch Jakov Levi musste, gemeinsam mit seiner aus Tschechien stammenden Frau, die er in Landsberg geheiratet hatte, ein Jahr auf Zypern zubringen. Er erinnerte sich später noch genau an den Besuch Golda Meirs im Lager, ein Ereignis, das dazu führte, dass 500 Babys mit ihren Eltern nach Palästina ausreisen durften! Mose Pessah entschied sich, zusammen mit weiteren dreißig Griechen, nach Griechenland zurückzukehren, und so fuhren sie also wieder nach München, wo er ihnen dann aber sagte: »Freunde, was sollen wir in Griechenland? Wer erwartet uns dort? Lasst uns nach Palästina gehen.« Auf einem amerikanischen Lastwagen kehrten sie nach Landsberg zurück. Dort begeisterte sie ein Gesandter aus Palästina für die zionistischen Ideale, mit einer Rede, die Mose in etwa wie folgt in Erinnerung blieb: »Eure Eltern kämpften gegen die Deutschen, eure Großväter gegen die Türken, wir werden für Palästina kämpfen.« Das Schiff, mit dem er nach Palästina fuhr, wurde von den Engländern gestoppt, und er war gezwungen, sechzehn Monate auf Zypern zu bleiben. »Auch dort gab es keine Freiheit für uns. Wir waren in einem Lager.« Auf Zypern heiratete er eine Frau aus Tschechien, die er in Deutschland kennengelernt hatte. Anfangs waren sie nur Freunde, aber auf Zypern verliebten sie sich ineinander und heirateten. »Die meisten Mädchen heirateten, um jemanden zu haben, der sie beschützte.« Manchmal änderten sich die Entscheidungen abrupt: Alfred Naar befand sich in Italien und wartete darauf, nach Palästina weiterzureisen, und während er auf das nächste Schiff wartete, versuchte er sich die Zeit zu vertreiben, indem er sich in Santa Cesarea amüsierte, änderte aber seine Meinung, und beschloss, nach Rio de Janeiro zu gehen. Er suchte sogar die brasilianische Botschaft auf. Noch am selben Abend aber quälten ihn seine Gedanken: »Was soll ich tun, wenn dort plötzlich ein neuer Hitler auftaucht?« So trennte er sich von seinen Koffern und ging mit einem Rucksack auf dem Rücken geradewegs zur Jewish Agency in Bari, um seinen Wunsch zu verkünden: »Ich möchte nach Eretz Israel gehen.« Wie Jakov Sindes erreichte auch Alfred Naar nach einem Aufenthalt in den Flüchtlingslagern in der Nähe von Bari und der Internierung auf Zypern 1948 Palästina.

Die Optionen der Auswanderung wurden in sehr hohem Grade durch die Suche nach Angehörigen bzw. die Wiederbegegnung mit ihnen eingeschränkt. Als der amerikanische Rabbiner Abraham Klausner 1945 in Dachau ankam, ging er daran, Listen mit den Namen der Überlebenden zu erstellen, um den auseinandergerissenen Familien zu helfen, einander wiederzufinden. Die Namenslisten wurden in den Lagern ausgehängt, ausgefüllt und in den jiddischen Zeitungen veröffentlicht. Und die Deportierten gingen sie systematisch durch, in der Hoffnung, auf einen vertrauten Namen zu stoßen, eine angenehme Überraschung oder die Bestätigung eines Gerüchts: Jemand hatte ihn doch lebendig gesehen … damals als … Sehr oft reichten die kleinsten Gerüchte oder Hinweise, wonach ein Verwandter noch am Leben sei, aus, damit ein Überlebender viele Kilometer zurücklegte, um dann doch bloß weitere Auskünfte über den Tod der geliebten Person zu erhalten. David Tsimino hatte eine Wohnung in München angemietet und plante, sich zur amerikanischen Armee zu melden, um so in die USA zu kommen. Trotzdem hörte er nicht auf herumzureisen, auf der Suche nach seinen Verwandten. Und eines Tages stieß er auf einer Liste der Überlebenden von Bergen-Belsen auf den Namen seiner Schwester. Ein jüdischer amerikanischer Offizier half ihm, an Bord eines kleinen Flugzeugs vom Typ Dakota zu kommen, und so gelangte er nach Griechenland. Er fuhr nach Thessaloniki, schaffte es, Ausweispapiere zu erhalten, aber seine Schwester fand er nicht. Also kehrte er nach Deutschland zurück, blieb dort 1945/46 und begegnete einer Frau, die er einst in Auschwitz singen gehört hatte. Er heiratete sie, und 1947 traten sie gemeinsam die Alija an. Aaron Dassa lebte in Feldafing, suchte aber überall nach seinem Bruder und folgte einem Griechen vom Roten Kreuz in die französische Zone. Er kehrte jedoch wieder nach Feldafing zurück, und nachdem er eine Verletzung auskuriert hatte, schloss er sich den Soldaten der Jüdischen Brigade auf dem Weg nach Italien an. Mit drei Freunden aus Thessaloniki blieb er für einige Zeit im Lager Santa Maria di Bagni bei Bari, in einem Kreis von Griechen: »Was sollten wir bei den Aschkenasim?«, sprach er zu sich selbst … Er reiste weiter nach Rom und Genua, sein eigentliches Ziel aber war es, nach Haifa zu kommen, wo er eine Tante hatte: »Ich hatte keinen anderen Ort, wo ich hingehen konnte.«

Ab 1948 bot die Giyus-Kampagne den DPs in Deutschland die Chance, die Rechte und Pflichten eines Bürgers des neugegründeten israelischen Staates zu erwerben, inklusive Besteuerung und Wehrpflicht. Damit war all jenen, die sich noch auf deutschem Boden befanden, die Gelegenheit gegeben, die Verantwortung für ihre Entscheidung selbst zu übernehmen. Im Juni 1948 hatten sich sämtliche Sepharden im Alter zwischen 17 und 35 Jahren im Rahmen des Giyus verpflichtet und warteten nun darauf, nach Palästina zu gehen.Von Athen aus verfolgte die Evraiki Estia das Flüchtlingsdrama und informierte ihre Leser systematisch mit kurzen Meldungen aus Deutschland, Italien und Zypern und anlässlich von bedeutenderen Ereignissen auch mit längeren Artikeln. Am 1. Juli 1947 veröffentlichte sie den Bericht eines Korrespondenten aus Jerusalem: »11.000 im Lager Xylotymbou auf Zypern festgehaltene Juden haben einen vierundzwanzigstündigen Hungerstreik ausgerufen, um ihren Protest gegen ihre schlechten Lebensbedingungen zu bekunden. An dem Streik beteiligten sich auch 200 Kinder, die sich in dem Lager befinden.« Am 15. August 1947 erschien auf der Titelseite eine bewegende Photographie eines Flüchtlings, der ein Baby in den Armen hält; der Artikel widmete sich dem Schiff Exodus: »Das Abenteuer der ›Exodus 1947‹ geht weiter. Die Flüchtlinge weigerten sich, von Bord zu gehen, und werden in ein unbekanntes tropisches Land gebracht.« Auf der gleichen Seite findet sich ein kurzer Bericht aus Rom: »700 im Lager Farma untergebrachte jüdische Flüchtlinge haben versucht, sich zu entfernen, in der Absicht, illegal nach Palästina einzureisen.« Die Nachricht von der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 wurde überall von Feiern und Freudenbekundungen begleitet. Wenige Tage später, am 21. Mai, berichtete die Evraiki Estia unter anderem das Folgende: »In Italien wurden die dorthin deportierten 30.000 Juden von einem Freudentaumel ergriffen und organisierten ein Fest mit Tänzen und Feuerwerk. Von ähnlichen Veranstaltungen wird auch aus den Lagern für jüdische Vertriebene in Deutschland und in Österreich berichtet, deren Zahl an die 300.000 reicht. Der Kommandeur der in Deutschland stationierten amerikanischen Truppen Clay erklärte, dass man zu einer schnellstmöglichen Abreise der vertriebenen Juden nach Palästina beitragen werde, und versprach, die notwendigen Transportmittel zur Verfügung zu stellen.« Am 8. Oktober informierte ein Bericht aus München die Leser darüber, dass die Auswanderung der Juden aus Deutschland nach Israel auf dem Luftweg mit Unterstützung der JOINT begonnen habe und dass dafür monatlich zwanzig Flugtransporte vorgesehen seien. Und am 5. November erfuhr man, dass 530 Juden aus den mittelitalienischen Lagern nach Israel ausgereist seien … 

Es scheint so, dass ihr Zielort für viele Überlebende wie Eli Benyakar oder Errikos Levi nicht von vornherein feststand. Eli Benyakar folgte mit seinen Kameraden der Jüdischen Brigade, und nach einem kurzen Aufenthalt in Landsberg überquerten sie illegal die Grenze nach Italien. Untergebracht wurden sie in der Akademie von Modena. Er befand sich in Begleitung seiner Freunde und erinnerte sich später an Tänze, Mädchen … Und natürlich war er auf dem Schwarzmarkt aktiv: Aus Feldafing hatte er Kleidungsstücke der Hitlerjugend mitgebracht, die er jetzt verkaufte. Er nahm den Zug von Rom nach Mailand, und die Tatsache, dass er Spanisch sprach, machte die Verständigung mit den Italienern für ihn um einiges leichter. Er erzählte, dass er ein Kriegsgefangener sei, zeigte seine Nummer und reiste ohne Fahrkarte, machte Geld und kaufte Zucker. Er zeigte seine Nummer und sagte »prisonero di Guerra«, und man gab ihm etwas zu essen. Einmal erzählte er seine Geschichte einem Schneider, woraufhin dieser ihm einen Anzug anfertigte. Als er in das Lager zurückkehrte, informierte man ihn, dass sein Schiff nach Palästina schon abgefahren war. »Das macht nichts, ich nehme das nächste«, sagte er. Bis Dezember 1945 blieb er in Italien. Er verdiente ein wenig Geld und beschloss nach Deutschland zurückzukehren, um Lederwaren einzukaufen und sie nach Italien zu bringen. Aber man schnappte ihn an der Grenze, und so landete er schließlich wieder im Lager von Santa Maria di Bagni. Seine Leute freuten sich, ihn am Leben zu sehen. Der zweite Versuch führte ihn nach Innsbruck. Er kehrte nach Feldafing zurück, erkrankte aber und war gezwungen, vier Wochen in einem Erholungsheim zuzubringen. Als er wieder in das Lager zurückkehrte, hatte man ihm den Koffer mit all seinen Waren gestohlen. So blieb ihm nur noch das Geld, das er im Erholungsheim beim Pokern gewonnen hatte … Wieder fing er an zu arbeiten: Er kaufte Waren in München ein und verkaufte sie in Feldafing. Er machte sogar einen Laden auf, den ersten in Feldafing! »Waren Sie nicht neugierig, zurückzukehren?«, fragte man ihn. »Um die Wahrheit zu sagen, nein. […] Ich hatte alles verkauft, bevor sie uns mitnahmen. […] Alles war weg. […] Ich wollte nach Israel gehen. […] In Italien sagte mein Freund zu mir, ich solle nach Griechenland gehen. […] Geh du, und berichte mir dann.« Er erhielt dann ein lakonisches Telegramm, das alles sagte: »Komm nicht zurück.« Eli Benyakar blieb in Feldafing und ging, wie wir bereits gesehen haben, 1948 nach Kanada, wobei er sein wahres Alter verschwieg und einen falschen Namen angab …

Zusammen mit fünf griechischen Freunden folgte auch Errikos Levi den Soldaten der Jüdischen Brigade nach Italien, wo sie beschlossen, sich von der Brigade zu trennen. Acht Monate blieben sie in Italien und waren auf dem Schwarzmarkt aktiv. Sie verkauften Pakete der UNRRA und des Roten Kreuzes. Errikos Levi erinnerte sich, dass es ihnen gut ging, aber mit einer gewissen Scheu zögerte er, selbst nach all den Jahren, das alles vor seiner Frau zu erzählen … Immerhin gab er zu, dass sie nie vor Tagesanbruch zu Bett gingen und die Nachtclubs in Rom, Treviso und anderswo besuchten. Als er aber erfuhr, dass sein älterer Bruder am Leben war, ließ er alles stehen und liegen und kehrte nach Thessaloniki zurück, wo er seiner zukünftigen Frau begegnete, einer Überlebenden aus Bergen-Belsen. Obwohl er zwei Jahre in den Nazi-Lagern zugebracht und fast seine gesamte Familie verloren hatte, wurde er zur Nationalen Armee eingezogen und von 1947 bis zum Ende des Bürgerkrieges gezwungen, gegen andere Griechen zu kämpfen. Es war sein Fehler gewesen, zurückzukehren, sagte er: »Die Erinnerungen, der Antisemitismus.« 1951 erreichte er es endlich, sein Haus zurückzuerhalten, das von Fremden okkupiert war. Über einen Freund beschaffte er sich eine Bescheinigung, die bestätigte, dass er gegen die Kommunisten gekämpft habe, und erhielt so das langersehnte Visum für Amerika.

Zwei Drittel der jüdischen DPs gingen nach Israel, während 140.000 jüdische Überlebende nach dem Krieg in die USA emigrierten. Auf der Liste der Griechen von Feldafing vom 1. August 1945 nannten von den 218 Personen, die einen Wunschort zur Emigration angegeben hatten, 68 Palästina, 19 die USA und 2 Südamerika. Etwas mehr als die Hälfte (129) wünschte nach Griechenland zurückzukehren. Wie wir sahen, führt die Ermittlung der endgültigen Zielorte der bis 1948 gebliebenen 73 Personen zu dem Ergebnis, dass ungefähr die Hälfte nach Israel und die andere Hälfte nach Amerika ging. Sam Mosse blieb bis 1949 in Feldafing, Salvator Saporta und Nissim Almaleh bis 1951, als sie die Erlaubnis erhielten, in die USA einzureisen. Dieser Prozess war niemals einfach. Im Mai 1949 schrieb Viktor Romano aus dem Lager Landsberg, um die Gemeinde von Thessaloniki zu bitten, ihm eine Geburtsurkunde zukommen zu lassen, damit er nach Amerika gehen könne, so wie man es zuvor auch für Leon Veisi getan hatte, der eine Einladung von seinem seit 1917 in Amerika lebenden Onkel erhalten und sogar schon einen Arbeitsvertrag hatte.

Eine Sammlung von Flüchtlingsausweisen (refugee cards), die in den Archiven der JOINT überliefert ist, liefert uns aufschlussreiche Daten über etwa 45 Juden aus Thessaloniki in Bayern, vor allem in Feldafing und Landsberg, aber auch in München, Weilheim und anderswo. Aus ihnen geht hervor, dass Viktor Romano im September 1949 nach Amerika gehen konnte. Für einige der Juden aus Thessaloniki (wie Isak Amar, Michael Levi, Moise Litsi, Salvator Mosse, Isak Sialum sowie Menasse und Leon Simha) kam die Stunde ihrer lang­ersehnten Ausreise erst Monate oder sogar Jahre nach der Anlage ihrer Akte. Viele von ihnen wurden von einer Frau begleitet, die keine Griechin war, und von Neugeborenen oder kleinen Kindern. Bei manchen anderen wurde die Akte geschlossen, bevor sie emigrierten, und ihr Zielort änderte sich: 1946 wollte Shlomo Akounis nach Frankreich und Abraham Mano in die USA gehen. Auch diese beiden wanderten letztendlich nach Israel aus. Die Akte eines anderen, »ungelernten« Zwanzigjährigen aus Feldafing, der gewünscht hatte, in die USA zu emigrieren, wurde mit dem Vermerk »medical rejection« geschlossen.

Das Leben der Flüchtlinge war wahrhaftig nirgends auf Rosen gebettet: In Palästina begegneten jene Einwanderer, die bereits vor dem Kriege in das Land gekommen waren, den Überlebenden aus den Lagern mal wie verlorenen Verwandten, dann aber wieder, als seien sie verantwortlich für den Verlust ihrer eigenen Angehörigen. Die materiellen Lebensbedingungen beschränkten sich dort auf eiserne Betten, Matratzen, ein mit anderen geteiltes Dach und ein wenig Geld für die erste Zeit. Aber auch jenseits des Atlantiks verlief die Verwirklichung des Amerikanischen Traums über die trostlosen Pfade der Armut und der Einsicht, dass eine Stadt voller Einwanderer eine Stadt ist, in der die Einheimischen diese auf ihre Weise auf Abstand von sich zu halten versuchen und auch die Flüchtlinge, die, wie Hannah Arendt 1943 schrieb, ihre Sprache und damit die Natürlichkeit ihrer Reaktionen, die Einfachheit ihrer Gesten, den Ausdruck ihrer Emotionen verloren haben, fern von sich halten. In der öffentlichen Wahrnehmung hat Amerika den Flüchtlingen, die man dort »newcomers« nannte, einen herzlichen und triumphalen Empfang bereitet und so das Stigma des Flüchtlings ausgelöscht und als vorrangiges Ziel gesetzt, sie auch in das Berufsleben wieder zu reintegrieren, indem man ihnen den Weg zu einer Existenz eines produktiven amerikanischen Staatsbürger wies. In ähnlicher Weise wurden die ehemaligen Deportierten, sobald sie in Israel eintrafen, zu olim (Einwanderer), und oftmals wurden ihre Geschichten unter der Last der Anstrengungen, den jungen Staat aufzubauen, erdrückt. Die Flüchtlinge wurden als Opfer gewaltsamer Verletzungen ihrer Rechte anerkannt, um aber den negativen Assoziationen der in der Zeit vor dem Krieg »Vaterlandslosen« zu entgehen, mussten sie sich den Sitten ihrer neuen Heimat fügen.

Am Ende scheint es ganz so, dass die Entscheidung, ob jemand nach Griechenland zurückkehrte, die Alija wagte oder auf die Erlaubnis wartete, in die USA oder ein anderes Land auszuwandern, noch von einem anderen wichtigen historischen Faktor abhing: dem Zufall. Salvator Mosse, den wir sahen, wie er sich sein Brot auf dem Schwarzmarkt in und außerhalb von Feldafing verdiente, war es gelungen, sich alles für eine Auswanderung nach Israel Notwendige zu beschaffen: einen Kühlschrank, einen Herd und ein Spülbecken. Und doch änderte er seine Meinung, als seine Freundin, die vor ihm abgereist war, ihn verließ, um jemand anderen zu heiraten, den sie in Israel kennengelernt hatte. Daraufhin verkaufte er alles und trug sich ein, um auf eine Einreiseerlaubnis für die USA zu warten. Nach vielen Jahren gestand er in noch immer gebrochenem Englisch: »I came to the States not knowing nobody. The only person I knew was my friend, the one who is in California now, was in New York, but my destination was to here. To Milwaukee? Milwaukee, because I declare I know from shoes, and a lot of shoe factories in Milwaukee, and they send me direct to Milwaukee.«

In einem der letzten Bücher von Aharon Appelfeld ist der Protagonist ein Einarmiger, der aus dem Ghetto entkommt und versteckt in den Wäldern überlebt. Gegen Ende des Krieges befindet er sich Italien, wo er sich in Geschäften hervortut, die zumindest anfangs auf dem Schwarzmarkt basieren. Er erwirbt ein riesiges Vermögen und baut ein internationales Netzwerk von Handelspartnern auf. Ständig schiebt er den Gedanken an die Alija auf. In der Nähe von Neapel restauriert er eine Burg, die er den ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager zugänglich macht, die nunmehr »Vertriebene« sind, die sich in den Büros der Hilfsorganisationen gegenseitig auf die Füße treten. In ihrer Burg wird ihnen auch Musik geboten: Schubert, Brahms, Bach. Und Tee. Und das alles, weil ihre Qualen, wie ihm jemand zugetragen hatte, sie für immer und ewig begleiten und die schönen Worte nicht helfen würden; die Kette der Katastrophen hatte ihr Bewusstsein ausgelöscht, sie wussten nicht, was sie auf dieser Welt wollten, und nur die Musik konnte ihnen noch etwas bieten…

Adorno mag es glauben oder nicht, manchmal sangen die Gefangenen in den Nazi-Lagern – um es zu ertragen oder um ihr Leben zu retten. Und nach der Katastrophe, in den Ruinen, sangen sie weiter. Den griechischen Juden gefiel es, die Lieder von Anfang der vierziger Jahre zu singen, erinnerte sich Eli Benyakar an seine Tage in Feldafing: »Wir fingen an, alte Lieder zu singen, organisierten uns, ich war einer der Jüngsten …«

Rika Benveniste, Die Überlebenden. Widerstand, Deportation, Rückkehr: Juden aus Thessaloniki in den 1940er Jahren,
Berlin, Edition Romiosini, 2016, S. 208-225.