Springe direkt zu Inhalt

Doris Wille

Doris Wille

Doris Wille

Transkript zum Interview mit Doris Wille


Griechische Literatur in Deutschland

Wenn ich mir überlege, welchen Autor oder Autorin ich gerne übersetzen würde, steht auf jeden Fall auf oberster Stelle Ersi Sotiropoulos. Sie ist eine Autorin, die ich sehr schätze, weil sie in einer so geschliffenen Sprache schreibt, das sind gute Texte auf Griechisch und es ist eine sehr moderne europäische Stimme Griechenlands, die wirklich einen Platz in Deutschland, auch auf dem deutschen Buchmarkt verdient hat. Diese Autorin würde ich sehr sehr gerne übersetzen. Wir bemühen uns auch darum, einen deutschen Verlag zu finden, aber es ist schwierig, wie überhaupt allgemein schwierig ist, für griechische Literatur einen deutschen Verlag zu finden.

Die griechische Literatur ist wirklich nicht en vogue, es ist nicht worum sich die Verlage reißen. Ich habe ein ganz interessantes Beispiel zum Verhältnis der Verlage zur griechischen Literatur.

Es gibt eine Autorin, sie heißt Kay Cicellis, die ist zweisprachig aufgewachsen und hat am Anfang ihrer Karriere ganz viel auf Englisch geschrieben und wurde ins Deutsche übersetzt. Mehrere Bücher von ihr sind auf Deutsch verlegt worden. Und irgendwann hat sie dann angefangen, auf Griechisch zu schreiben und dann wurde sie nicht mehr übersetzt. Sie ist eine Autorin, die von keinem geringeren als Heinrich Böll übersetzt worden ist, Annemarie Böll zusammen mit Heinrich Böll haben ein Buch von ihr übersetzt und auch andere Bücher wurden auf Deutsch verlegt, aber sobald sie auf Griechisch geschrieben hat, gab es keine Übersetzungen mehr und sie ist die gleiche Autorin, die sicherlich auf Griechisch nicht schlechter schreibt als auf Englisch, die sicherlich keine schlechteren Bücher auf Griechisch als auf Englisch schreibt. Ich denke bei den Verlagen ist es einfach so, dass sie keine Katze im Sack kaufen wollen. Sie können die griechischen Texte nicht lesen, sie sind darauf angewiesen, dass sie externe Gutachter beauftragen. So läuft es in der Regel, dass man auf Grund eines Angebotspakets, wenn man überhaupt ein Interesse für das Buch und den Autor hat, dann wird ein externer Gutachter beauftragt und von dem Gutachter hängt es ab, ob der Daumen hoch oder runter geht. Die Lektoren selbst können den Text nicht beurteilen, können das Buch nicht beurteilen und es ist einfach bei anderen Sprachen anders. Sie können die englischen Bücher lesen und in der Regel auch andere Sprachen lesen, Italienisch, vielleicht Schwedisch, vielleicht Französisch, Spanisch, aber Griechisch können die wenigsten Lektoren und daran scheitert vieles.

Die AutorInnen

Also, wenn ich mir überlege, was ich für Schwerpunkte im Bereich Übersetzung habe, sind es eigentlich drei Bereiche, ich habe einmal Kinderliteratur, Kinder- und Jugendliteratur, aber ich bin nicht darauf festgelegt. Ich übersetze auch Literatur für Erwachsene, und neu dazu gekommen sind auch Gedichte. Wo ich lange Zeit ja ein bisschen Respekt davor hatte und dachte, das kann ich nicht, aber es hat sich rausgestellt, es funktioniert doch ganz gut und es ist ein neuer Schwerpunkt von mir geworden. Ich habe jetzt zuletzt ein langes Gedicht von Titos Patrikios übersetzt, das ist bei Akzente erschienen, und das war Neuland für mich, aber ich habe gesehen, das funktioniert gut und es gefällt mir auch sehr gut. Ein anderer Bereich ist die Kinder- und Jugendliteratur und das fing durch Zufall an, wie viele Dinge durch Zufall anfangen. Ich war bei der Buchmesse in Frankfurt und habe Evgenios Trivizas kennengelernt und er hat mich damals gefragt, ob ich ein bestimmtes Bilderbuch von ihm übersetzen möchte, was eine besondere Herausforderung ist, weil er sehr stark mit Wortspielen arbeitet und außerdem noch gereimt ist. Ich habe es versucht und es hat auch funktioniert, es war damals das Buch, Ποιος έκανε πιπί στο Μισισιπή;. Ich habe es mit Pipi und Mississippi übersetzt und habe dabei ein Talent von mir entdeckt, dass ich sogenannte Knüttelreime übersetzen kann, was wohl damit zusammenhängt, dass ich als Kind Wilhelm Busch geliebt habe und ich habe das irgendwie in mir und es fällt mir leicht.

Wilhelm Busch hat einen Vers z.B. "Ritzeratze! voller Tücke, In die Brücke eine Lücke" und solche Sachen, wenn das auf Griechisch ist, denkt man sich wie kann man das ins Deutsche übersetzen, aber weil ich so viel Wilhelm Busch gelesen habe als Kind, fällt es mir ganz leicht. Und bei den Trivizas Büchern habe ich mehrere übersetzt, die alle nicht veröffentlicht worden sind, die sind bisher nur für Vorlesungen verwendet worden, und es funktioniert gut und es macht sehr viel Spaß. Das ist der Bereich Kinder- und Jugendliteratur und überhaupt habe ich als Kind sehr viel gelesen und auch sehr viel vorgelesen bekommen, als ganz kleines Kind, und ich glaube, das ist sehr wichtig, wenn man Kinder- und Jugendliteratur übersetzen möchte, dass man diese Welt in sich birgt. Also z.B. wenn man ein Märchen übersetzen will, man braucht diesen Ton, man braucht dieses Gefühl dafür und ich glaube, das kann man sich schlecht anlesen, wenn man erwachsen ist. Damit muss man, glaube ich, groß geworden sein und von daher habe ich, glaube ich, wirklich einen besonderen Zugang auch zur Kinder- und Jugendliteratur.

Also, zum Beispiel bei Trivizas gibt es so Reime wie... Also da gibt es eine Stelle, da heißt es dann, also ums Pinkeln geht es dabei, und ein kleines Entchen sagt dann: "Es kam wie aus heiterem Himmel, da hatte ich diesen Druck im Pimmel, musste Pinkeln ungelogen und in einem hohen Bogen", das ist ein bisschen wie Wilhelm Busch, oder?

Bei der Jugendsprache gibt es eine besondere Schwierigkeit, vor allem wenn man als Übersetzer im Ausland lebt, weil es eine Sprache ist, die sich stark entwickelt und stark verändert und immer wieder neue Ausdrücke entstehen, Slang-Ausdrücke. Und da muss man ein bisschen aufpassen als Übersetzer, denn es gibt sehr starke Modeausdrücke, die dann auch nach zwei Jahren schon wieder vorbei sind. Ich habe gerade gestern mit einem Autor darüber gesprochen, mit Daniel Höra, der selbst als Autor vermeidet, solche sehr stark ja zeitgebundenen Slangausdrücke zu benutzen. Und das war eigentlich auch eine Beruhigung für mich als Übersetzerin, denn man ist immer in der Versuchung Ausdrücke zu verwenden, die man irgendwie doch aufgeschnappt hat, aber bei denen man sich nicht sicher ist. Es ist gut sie zu vermeiden, denn nach zwei Jahren könnten diese wieder vorbei sein und auch die Autoren selbst wollen schon eine Jugendsprache schreiben - also an dem einen Beispiel weiß ich es genau - aber die dann doch nicht so an Ausdrücken eines Jahres gebunden ist.

Also ein Bereich beim Übersetzen sind bei mir seit neuestem die Gedichte, Kinder- und Jugendliteratur ein starker Bereich und dann gibt es eben noch den Bereich der sogenannten Erwachsenenliteratur, der Belletristik, und in diesem Bereich habe ich speziell eine Autorin, die ich sehr schätze, die Ersi Sotiropoulos, von der ich einen Roman übersetzt habe, der ist bei DTV erschienen, Die bitteren Orangen sind das, und ich habe in verschiedenen Medien, in Literaturzeitschriften, für Lesungen, immer wieder auch Erzählungen übersetzt und gerade aktuell, jetzt im Mai 2014, war in Berlin ein europäischer Schriftsteller-Kongress, zu dem sie als Vertreterin aus Griechenland eingeladen worden ist, und ich habe für die Lesung dort - da gab es eine lange Nacht der europäischen Literatur - einen Auszug aus ihrem letzten Roman übersetzt, der Roman heißt Eva und der ist in diesem Rahmen gelesen worden. Außerdem kürzlich, jetzt im Frühjahr 2014, ist eine Erzählung von ihr in der Literaturzeitschrift Krachkultur erschienen. Eine sehr bemerkenswerte Literaturzeitschrift.

Manos Kontoleon ist ein Autor, der in verschiedenen Bereichen schreibt. Er ist als Kinderbuchautorganz stark vertreten. Er hat sehr interessante Belletristik auch geschrieben, also Romane für Erwachsene. Ein Buch, das mir sehr gefällt von Manos Kontoleon, ist Iστορία ενός ευνούχου, Die Geschichte eines Eunuchen. Das würde ich sehr gerne übersetzen auch. Er ist eben auch ganz stark im Jugendliteratur-Bereich. Was wir in Berlin gelesen haben, war ein Klassiker von ihm O αδερφός της Ασπασίας, Der Bruder von Aspassia und Der machtlose Engel. Der machtlose Engel, das ist ein Roman, der zu tun hat mit dem Mord an Alexandros Grigoropoulos, was ja auch mit der Auslöser für starke Unruhen in Athen war und das hat er in Romanform verarbeitet.

Wie wird man Literaturübersetzer?

Eigentlich komme ich aus dem journalistischen Bereich, ich habe mehrere Jahre beim Radio gearbeitet und dann kam aber der Tag, an dem ich nach Griechenland umgezogen bin, und zwar auf die Insel Kefalonia und konnte da als Journalistin nicht weiter arbeiten. Das war einfach nicht möglich, einfach weil das Provinz ist, und ich an den Ort gebunden war, und ich konnte nicht zur Recherche z.B. nach Athen fahren. Ich musste mich neu orientieren. Ich habe mich eigentlich mein Leben lang mit der Sprache, mit Literatur beschäftigt und habe auch Germanistik studiert und irgendwann hat es sich ergeben, dass ich die Möglichkeit hatte, einen kurzen literarischen Text zu übersetzen, das war bei Romiosini. Da wurde ein Band vorbereitet, Literarische Reisen durch Griechenland, und ich habe mit einem Text angefangen und dann kam noch einer dazu und noch einer und noch einer und irgendwann habe ich das halbe Buch übersetzt und so habe ich angefangen.

Zum Literaturübersetzen kann man natürlich über ein Studium kommen aber auch als Quereinsteiger. Ich selbst bin Quereinsteigerin. Natürlich habe ich Germanistik studiert, habe mich viel mit Sprache, mit Literatur auseinandergesetzt, aber die Sprache selbst, Griechisch selbst habe ich autodidaktisch gelernt, also nie an der Uni studiert, ich habe vielleicht mal drei Monate einen Kurs gemacht, aber ansonsten habe ich Griechisch autodidaktisch gelernt, wie ich schon gesagt habe. Ich habe sehr viel gelesen, viel gesprochen und lebe jetzt seit über 20 Jahren in Griechenland, und ich hoffe, man merkt es auch.

Was bedeutet Übersetzen für dich?

Er vermittelt natürlich auch zwischen zwei Kulturen und nicht nur bei einzelnen Wörtern, insgesamt ist eine Übersetzung gerade eines literarischen Textes eine Vermittlung zwischen zwei Kulturen und das ist auch ein Anliegen, das ist auch das Schöne dabei. Das geht noch einen Schritt weiter, wenn man bei Lesungen ist und das Publikum direkt sieht und erlebt, wie es reagiert, da spürt man sehr stark wie Literaturübersetzung auch eine Brücke zwischen zwei Kulturen ist.

Der Beruf

Vom rein literarischen Übersetzen zu leben halte ich für nicht möglich. Ich mache auch andere Übersetzungen, ich bin beeidigte Übersetzerin, staatlich geprüfte beeidigte Übersetzerin und kann auch offizielle Dokumente übersetzen, das ist also ein Standbein und das gefällt mir auch ganz gut, das ist so ein bisschen wie die Pflicht und die Kür. Dass ich also diese offiziellen Dokumente, also die Pflicht beim Eiskunstlauf habe und die literarische Übersetzung ist dann die Kür. Weil unterschiedliche Dinge auch gefordert sind, bei einem Dokument muss man natürlich sehr präzise übersetzen, da ist keine Kreativität gefragt, während beim literarischen Übersetzen natürlich genau das der Punkt ist, dass man die Sprache kreativ benutzt und im Idealfall einen neuen literarischen Text schafft.

Das Prozedere

Ja, also, natürlich lese ich zuerst mal den Text auf Griechisch und dann mache ich erst mal eine grobe Fassung, ich übersetze den Text einmal im Groben, dass ich den Text einmal durchübersetzt habe, und dann auf Grundlage dieser groben Übersetzung die Feinarbeit machen kann. Dann geht es mir wirklich darum, einen guten deutschen Text herzustellen.

Ich achte darauf, dass das gute Ausdrücke sind, nicht so Nullachtfünfzehn-Texte hat, sondern auch dass besonders gute Formulierungen drin sind, die einen ansprechen, die den Text einfach schön auch machen. Natürlich muss das alles dem griechischen Text auch entsprechen, aber wenn man sich nur auf sicherem Terrain bewegt beim Übersetzen, glaube ich, wird der Text langweilig, man muss auch etwas wagen.

Ich habe einmal für Schüler versucht zu erklären, wie ich übersetze, und das ist natürlich wirklich für Kinder, eine Erklärung wie eine Übersetzung funktionieren kann. Mir ist dabei ein Bild eingefallen, etwas als würde ich einen Garten, ein Beet bearbeiten, dass ich erst mal richtig umgrabe und das Unkraut raushole und den Boden vorbereite, das ist so wie wenn ich den Text im Groben übersetze und dann fängt es an wirklich das Unkraut zu zupfen, Wörter herausnehmen, die nicht passen, die stören im Gesamtbild und dann fange ich an ein bisschen zu pflanzen: schöne Blumen, nicht schöne Wörter, aber gute Wörter, die etwas ausdrücken. Ich benutze ausdrucksreiche Wörter. Wie bei einem Blumenbeet, der quasi nicht eine Rasenfläche hat, sondern schon so kleine Highlights.

Sagen wir mal, ich hatte einen Text und dort ging es um Kakerlaken, die durch die Küche gewandert sind. Sie sind im griechischen Text durch die Küche gegangen, "περάσανε από την κουζίνα", und da habe ich nicht das Wort "gehen" genommen, sondern sie sind durch die Küche gehuscht, Kakerlaken, die huschen, sind schnell, da muss man halt nicht "gehen" sagen, sondern was anderes, was ausdrucksstärker ist, das meine ich mit etwas wagen.

Die Frage, wann der Text fertig ist, wann man wirklich damit zufrieden ist, ist natürlich schwer zu beantworten. Was für mich immer ganz wichtig ist, ich lese den Text laut und wenn er beim Lautlesen gut fließt und wenn ich auch Freude an dem Text habe, wenn ich merke, ach es stimmt, er ist gut ausgedrückt und es macht Spaß ihn zu hören, dann denkt man, ja, es stimmt. Aber wann stimmt der Text? Es ist immer schwer zu sagen. Es ist ein Gefühl. Es ist einfach ein Gefühl. Man denkt, jetzt kann ich loslassen, der Text fließt. Gerade beim Lautlesen merkt man sehr stark, ob er holpert, ob man selber auch beim Lesen stolpert, wenn man merkt, es ist noch nicht richtig, das würde man im Deutschen nicht so sagen, man muss noch mal daran arbeiten. Ich denke, es ist gut, wenn der Text beim Lautlesen funktioniert und wenn er einen guten Fluss hat und wenn man mit sich im Reinen ist und ein Gefühl der Stimmigkeit hat. Es ist wirklich ein Gefühl. Man kann es nicht an äußeren Dingen festmachen. Es ist ein Gefühl, man schließt was ab und es stimmt. Ich kann es anders nicht sagen.

Kulturspezifika

Es ist schwierig, es fängt schon beim Wort "Platia" an, wo man im Italienischen einfach "Piazza" sagen würde, und es ist allgemein anerkannt, das weiß man, ich versuche es einzuführen teilweise. Also ein Wort wie "Platia", das übernehme ich dann auch im Griechischen, vielleicht sage ich dann bei einem längeren Text am Anfang das Wort "Platz" und in der Kombination mit "Platia" und dann im fortlaufenden Text würde ich das Wort "Platia" auch benutzen, weil ich denke, im Italienischen geht es, warum nicht auch im Griechischen? Es funktioniert im Italienischen. Jeder weiß was eine "Piazza" ist und vieles kann man dann im Griechischen einführen, aber der Text muss natürlich verständlich bleiben. Bei speziellen kulturell geprägten Wörtern, also Dingen, die es in Deutschland nicht gibt, ist es manchmal schwierig. Man muss manchmal erklären, "Magiritsa" würde ich "Ostersuppe" nennen oder "Ostersuppe-Magiritsa", in der Kombination, das ist immer von Fall zu Fall verschieden. Manchmal geht es ganz gut, dass man ein deutsches Wort benutzt, was schon in sich eine Erklärung birgt. Manchmal funktioniert es nicht, es kommt immer darauf an, aber oft findet man Wörter, die in sich die Sache auch erklären, aber natürlich ist es ganz blöd, wenn man ein Wort mit einem Nebensatz erklären muss, das versucht man zu vermeiden.

Ich denke, einige Wörter kann man einführen und vor allem bei längeren Texten, dass wenn man sie am Anfang mit einer leichten Erklärung einführt und dann im fortlaufenden Text das Wort einfach als Wort benutzt.

Einbürgerung vs. Verfremdung

Wenn ich mir überlege, was die Schwächen sind oder die Stolpersteine beim Übersetzen, da hat es auch wieder was mit Mut zu tun, glaube ich, dass man den Mut haben muss, sich vom griechischen Text zu lösen. Es fällt mir z.B. viel leichter, wenn ich einen Text von einer Kollegin lektoriere, da bin ich viel freier ihn deutscher zu machen. Wenn ich den Text selbst übersetze, habe ich auch immer noch diesen Respekt vor dem Autor, dass ich ihn nicht so stark verändern möchte, wobei es dem Text nur zugutekommt. Letztendlich komme ich auch dazu, den Text und mich von dem Original zu lösen. Also das Ziel ist immer der gut lesbare deutsche Text. Wenn man aus dem Griechischen übersetzt, gibt es viele Ausdrücke, die im Deutschen auch so gehen, man könnte es so sagen auf Deutsch, aber man sagt es eigentlich nicht. Da muss man aufpassen, dass man nicht denkt, "ach, es geht doch eigentlich, man könnte es auf Deutsch so sagen". Man muss sich lösen und sagen, ok, das ist der griechische Text und ich versuche einfach noch einmal in mich zu gehen und es auf Deutsch zu sagen. Ich habe eine sehr bekannte Kollegin, die aus dem Russischen übersetzte, die Svetlana Geier, die hat es sehr schön ausgedrückt, dass man beim Übersetzen die Nase hochheben sollte, also nicht arrogant werden sollte, sondern man sollte den Text lesen, den Satz in sich aufnehmen, dann Abstand nehmen und ohne an dem Blatt zu kleben, ihn nochmal neu sagen, neu formulieren. Das ist ideal, ich finde sie hat es sehr gut ausgedrückt.

Kann Literaturübersetzen unterrichtet werden?

Natürlich ist Übersetzen auch ein Handwerk, und das kann man lernen. In wieweit man aber Literaturübersetzen lernen kann und als Handwerk lernen kann, ich glaube, man kann auch an Grenzen kommen. Man muss wirklich ein bestimmtes Gefühl für Literatur haben und Kreativität kann man nur bis zu einem gewissen Grad lernen. Literarische Übersetzung ist eine kreative Arbeit und dafür muss man eine Ader haben. Das kann man sicherlich durch Unterricht und durch ein Studium fördern. Ich habe auch zwei Seminare im Literaturhaus München besucht. Es gab zwei Seminare speziell über die Übersetzung griechischer Literatur ins Deutsche. Das hat mir sehr geholfen, ich hatte auch gewisse Aha-Erlebnisse. Aber grundsätzlich glaube ich schon, dass man ein Feeling, eine gewisse Ader, ein gewisses Talent für Literatur haben muss.

Lektorat

Lektorat ist ganz wichtig, da man für seinen eigenen Text natürlich irgendwann betriebsblind ist und man sieht die Schwächen nicht. Im Idealfall hat man einen Verlag, der einen Lektor zur Verfügung stellt, beauftragt und man arbeitet mit ihm zusammen. Aber das findet nicht statt bei Lesungen, selten bei Literaturzeitschriften. Ich habe also ein Team gebildet mit einer Kollegin und Freundin, mit der ich sehr gut zusammenarbeite, und wir lektorieren uns die Texte gegenseitig. Das ist ein sehr gutes Backup, eine Rückversicherung, und wenn diese Kollegin den Text abgesegnet hat, gebe ich ihn ab. Ich gebe selten einen Text heraus, den nicht jemand anderes nochmal gegengelesen hat. Ich komme ja aus dem Journalismus, da war das üblich, jeder Text, der über einen Sender ging, der wurde von einem Kollegen gegengelesen und da bin ich auch nicht eitel. Ich will nicht, dass der Kollege dann sagt, "ach, toll übersetzt", ich will, dass er mir die Schwächen zeigt und dass wir gemeinsam eine Lösung finden, das besser zu machen.

Manchmal suche ich mir einen jugendlichen Lektor, also bitte ich einen Neffen oder eine Nichte oder den Sohn, die Tochter von Freunden darum, die Texte mal gegenzulesen. Denn ich glaube, die Jugendlichen selbst können beurteilen, was aufdringlich wirkt, wo man sich anbiedert. Man darf sich auch nicht anbiedern an die Jugendsprache, das ist unangenehm, das stößt Jugendliche ganz übel auf, das wollen sie nicht. Man muss schon eine Sprache finden, die ihnen nah ist, aber ohne sich anzubiedern. Und deshalb habe ich gerne einen jugendlichen Lektor der mir sagt, das geht überhaupt nicht oder das geht.

Verlagswesen

Als ÜbersetzerIn wünscht man sich eigentlich nur zu übersetzen, aber leider funktioniert das nicht. Man muss ganz oft die Arbeit eines Agenten übernehmen, was mir persönlich überhaupt nicht gefällt und schwerfällt, aber was ich natürlich auch mache. Das heißt, wenn mir ein Buch gefällt, bereite ich ein sogenanntes Angebotspaket vor, in diesem Paket schnüre ich ein kleines Bündel aus Probeübersetzung, Lebenslauf des Autors, Auszüge aus griechischen Kritiken, wenn Preise vergeben worden sind, die Begründung der Jury. Also alles, was das Buch reizvoll machen kann, packe ich in das Paket und gehe dann damit „hausieren“, klopfe an verschiedenen Türen bei den einzelnen Verlagen und versuche mein Glück, aber oft hat man kein Glück. Es ist eine frustrierende Arbeit, aber ich mache immer weiter, weil es mir ein Anliegen ist. Und was einem Mut macht, sind dann doch die literarischen Zeitschriften, die dann Interesse anmelden und etwas veröffentlichen, die Lesungen, wo man merkt, es kommt gut an, es gibt ein Interesse an griechischer Literatur. Bei den Verlagen ist das Interesse sehr gering und da geht auch schnell der Rollladen runter.

Literaturagenten

Ich als Übersetzerin wäre dankbar, wenn es mehr Agenten gäbe, Agenten, die wirklich diese Vermittlerrolle übernehmen, denn wenn ich als Übersetzerin auf einen Verlag zugehe, ist natürlich immer ein Eigeninteresse da, ich persönlich möchte das Buch übersetzen, möchte den Auftrag haben. Natürlich würde ich kein Buch vorschlagen, was ich nicht gut fände zu übersetzen, aber es ist immer so ein Interessenskonflikt, das weiß der Verlag auch, die Übersetzerin will Übersetzungen haben. Deshalb wäre es besser, wenn ein Agent diese Vermittlerrolle übernehmen würde, aber es gibt wenig Agenten, die sich für griechische Literatur interessieren und einsetzen. Ich persönlich als Übersetzerin wäre sehr dankbar, wenn es mehr Agenten gäbe, die diesen Markt übernehmen.

Der Markt funktioniert auch immer mehr so, dass Agenten auf Verlage zugehen und bestimmte Titel im Koffer haben, die sie dann verkaufen möchten. Die Agenten bekommen natürlich einen Anteil, ein Honorar dafür und das ist ein anderer Job, es ist eine andere Qualifikation auch. Ich bin Übersetzerin. Es gehört was anderes dazu, ein Buch wirklich anzupreisen, interessant zu machen, schmackhaft zu machen und ein Agent, der weiß auch viel besser, wo was hin passt. Wenn man als Übersetzerin diese Rolle übernimmt, macht man das oft halbherzig. Man probiert zwar zwei drei Verlage und das war es dann. Man hakt nicht richtig nach. Es ist so eine halbherzige Angelegenheit und man wird als Übersetzer dafür auch nicht bezahlt. Wenn man Glück hat, wird man für die Übersetzung dann bezahlt, also wenn es klappt. Die Agententätigkeit, die wird dann von den Verlagen so mitgenommen in der Regel. Und man muss auch sehen wo man bleibt. Man kann nicht so wahnsinnig viel Energie da reinstecken, die Agentenrolle zu übernehmen. Energie und Zeit. Man muss ja auch sehen, dass man sein Auskommen hat.

Buchmessen

Eine Sache, die mir auch sehr wichtig ist im Bereich Kinder- und Jugendliteratur, ist das Internationale Literaturfestival in Berlin. Es ist ein wichtiges Festival mit einem Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendliteratur und in dieser Programmspalte bin ich Mitglied im Kuratorium. Ich bin also als Kuratorin zuständig für griechische Kinder- und Jugendliteratur und mache Vorschläge, wen man einladen könnte zu dem Festival. Da gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit, es wird nicht jedes Jahr ein griechischer Autor eingeladen, aber immer wieder, man könnte sagen, alle 2-3 Jahre kommt auch ein griechischer Autor nach Berlin. Die Stärke des Festivals ist auch, dass Texte neu übersetzt werden. Es sind also nicht nur Autoren, die schon auf Deutsch erschienen werden und daher die Möglichkeit haben zu lesen, sondern das Festival hat großes Interesse daran, unbekannte Autoren nach Deutschland zu holen und die Texte dann auch für das Festival übersetzen zu lassen, und das ist ein Tummelplatz von interessanten ausländischen und deutschen Autoren. Es kommen Autoren aus verschiedensten Ländern dorthin und eben auch griechische Autoren. Ich finde, das ist wirklich eine segensreiche Einrichtung und ein Festival, das einen wirklich guten Ansatz verfolgt. Ich bin mit vier Autoren schon da gewesenen, erster Autor war Evgenios Trivizas, und dann Vagelis Iliopoulos war da, Manos Kontoleon und Maria Papayanni und in diesem Jahr gucken wir mal.

Übersetzungskritik

Als Übersetzerin wünscht man sich eigentlich immer den Roman. Man möchte einen Roman übersetzen, ein schönes Buch und einen Verlag dafür finden, das sind so die Highlights, wenn man das hat. Zum Glück habe ich auch ein paar Romane übersetzt, aber es gibt ein weites Feld von Texten, von Kurztexten, die bei Projekten verwendet werden, die für Lesungen benutzt werden, das ist auch schön. Man sollte das gar nicht so staffeln, dass irgendwie die Königsdisziplin der Roman ist, der bei einem großen Verlag erscheint. Das ist schön, aber ich finde auch diese ganzen anderen kleineren Projekte wie Lesungen oder andere Projekte, die es so gibt, Schulprojekte, die sind auch gut und man erreicht dann wirklich auch sehr gut das Publikum. Man spürt sehr direkt das Feedback. Einmal hab ich das auch erlebt bei einer Lesung mit Vagelis Iliopoulos, einem Kinderbuchautor beim Internationalen Literaturfestival in Berlin. Der hat einen Text gelesen und im Anschluss hat er gesagt, dass ist irgendwie klasse, die deutschen Schüler lachen an genau den gleichen Stellen wie die Griechen und da sieht man auch, dass die beiden Texten bei den beiden Ländern ähnlich funktionieren, ähnlich ankommen, und bei diesem unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum hat man eben dieses Feedback. Bei Lesungen spürt man genau, wie was ankommt.

Beim Roman, der erscheint, liest man die Literaturkritiken und freut sich, wenn die gut sind, aber dieser unmittelbare Kontakt zum Publikum ist sehr schön und sagt einem auch viel, dann merkt man auch Stärken und Schwachstellen.

Diese ganze Situation hier ist ja irgendwie merkwürdig für mich als Übersetzerin. Denn als Übersetzerin stehe ich ja selten im Mittelpunkt und man freut sich. Es ist eigentlich selbstverständig, dass man im Innentitel des Buches erwähnt wird, dass der Name des Übersetzers erscheint, aber ansonsten fallen die Übersetzer ja doch eigentlich hinten runter. Es ist selten, dass man als Übersetzer beachtet wird und auch wenn in der Buchkritik die Sprache erwähnt wird, dann darf man sich das so ein bisschen aneignen, auch wenn man nicht selbst erwähnt wird. Sagen wir mal, ein Buch ist von mir übersetzt und in der Kritik steht "tolle Sprache usw.". Dann bin ich ja das eigentlich ich, das ist ja meine Sprache. Natürlich der Autorin, des Autors, aber das Deutsche ist meine Sprache. Und auch wenn ich nicht erwähnt bin, dann ziehe ich mir den Schuh doch an. Aber als Übersetzter wird man fast nie erwähnt in den Kritiken, oder wenn dann vielleicht nur im Halbsatz, die hervorragende Übersetzerin von so und so, aber meistens nur in einem Nebensatz. Und dass ich jetzt hier sitze und im Mittelpunkt stehe, ist für mich ungewöhnlich. Ich persönlich mag es auch gar nicht so sehr im Mittelpunkt zu stehen. Ich finde es aber richtig, dass die Rolle des Übersetzers beachtet und respektiert wird.


Zum Interview

Ort: Thessaloniki
Datum: 10. Mai 2014
Interviewerin: Anthi Wiedenmayer
Kamera und Schnitt: Apostolos Karakasis
Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE

Zitiervorschlag: Anthi Wiedenmayer, "Interview mit Doris Wille", Übersetzerporträts, Freie Universität Berlin/CeMoG, Berlin, 2016, http://www.cemog.fu-berlin.de/wissensbasis/uebersetzerportraets/